Bericht und Bilder von Züsi Widmer
«Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern sie macht sichtbar» schrieb Paul Klee, und diese Weisheit trifft akkurat zu auf Franz Gertsch. Albrecht Dürrer (1471 – 1528) hatte ca. 500 Jahre früher einen ähnlichen Gedanken als er schrieb: «Wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur; wer heraus kann reyssen, der hat sie».
Die Zitate an die Wand geschrieben begleiten die Besucher:innen zu den Kunstwerken Franz Gertschs und machen erkennbar, worum es sich handelt:
Der magische Realismus (nicht Fotorealismus!) des gepinselten Farbgeflechts, das von weitem so naturecht verblüfft.
Wir stehen vor den «Jahreszeiten» (325 X 480 cm), ein Stück Wald bei Rüschegg, wo Gertsch wohnte: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Alle vier betörend in ihrer Einzigartigkeit. Der Winter lässt uns etwas erschaudern, der Sommer ist üppig im Blättergewirr. Ja, man muss sie gesehen haben, man muss staunend vor dieser gewaltigen und dennoch sensiblen, realistischen Kunst gestanden sein…
Andreas Jahn erwähnt, dass Gertsch dieselben Farben verwendete wie vor 500 Jahren Piero delle Francesca, Giotto, Fra Angelico in der Renaissance. Im betörenden Blau ist Lapislazuli Staub; neben dunklen, satten Farben aus dem Primärfarbenspektrum kommen vor allem Abstufungen zum Zug – vor allem in den zahlreichen Braun-(Erde), Grau-, Schwarz- und Weisstönen, die den Charakter vieler Gemälde ausmachen.
Lange bestaunten wir das Grasbild und dessen Ausschnitt, in den eben erwähnten Farben der Renaissancemaler. Andreas brachte damit das Portrait von «Sylvia» (Sylvia = Waldfee), welches er mehrmals in verschiedenen Farbtönen malte (und druckte), mit der Mythologie der Nymphe Syrinx in Verbindung:
«In Arkadien lebte einst eine Nymphe mit dem Namen Syrinx. Sie war bezaubernd schön und begehrt. Als eines Tages der Gott Pan die Nymphe erblickte, verliebte er sich sogleich in sie. Syrinx aber verschmähte seine Zuneigung und flüchtete. Auf der Flucht kam sie an den Fluss Ladon, der so tief war, dass sie nicht entkommen konnte. Daraufhin flehte sie die Schutzgöttin Artemis an, sie in ein Schilfrohr zu verwandeln. Artemis tat ihr den Gefallen und Pan hielt statt Syrinx nur ein Schilfrohr in den Händen. Um trotzdem mit ihr vereint zu sein, schnitt er das Schilfrohr in unterschiedlich lange Teile und band sie zusammen. Auf diese Weise entstand die Hirtenflöte, oder Panflöte, die er Syrinx nannte.»
Dieses Motiv von Ovid wurde von Künstlern wie Rubens und Jan Breughel dargestellt oder von Claude Debussy wie Benjamin Britten vertont.
Das ist Andreas Spezialität: auf Zusammenhänge der Kunst mit Musik, Mythologie, Religionen und anderen Kulturen aufmerksam zu machen. Und damit das Sprichwort: «Im Schilf stehen» zu erklären – Pan, der nicht an die bezaubernde Nymphe herankommt und buchstäblich im Schilf steht.
Erfüllt von den Eindrücken der Bilder und der breitgefächerten, spannenden und lebendigen Erläuterungen haben wir anschliessend im Bistro des Museums mit Andreas zusammengesessen, unseren Durst gelöscht und geplaudert.